Seit heute steht die neue Corona-Warn-App des Bundes ganz Deutschland zum Download zur Verfügung. Als Liechtensteins führende Spezialagentur für kundenzentrierte digitale Transformation haben wir uns die App, deren Code die Entwickler von Telekom und SAP offengelegt haben, genauer angeschaut.
Insgesamt beurteilen wir die Umsetzung der App als gelungen. Natürlich gibt es Optimierungspotenzial - jedoch fanden in den letzten Tagen bereits eine Vielzahl von wertvollen Verbesserungen durch die Open Source Community Berücksichtigung, was zu einer deutlichen Verbesserung des Codes führte.
Uns überzeugt die Implementierung der iOS App in Hinsicht auf UI, Architektur und Sicherheit. Vor allem die verwendeten Technologien und Tools, die unseren Best Practices stark ähneln und State of the Art sind, beurteilen wir als positiv. Die schnell wachsende Anzahl automatisierter Tests sowie die Optimierung des Codes als Reaktion auf das Feedback der Community schätzen wir ebenfalls positiv ein. Kritisch betrachten wir die mangelnde Verwendung von Dependency Injection (wesentliches Pattern zur Reduzierung der Abhängigkeit von Objekten/Klassen untereinander), was die langfristige Wartbarkeit zusammen mit anderen Architektur-Entscheidungen erschwert.
Auch die Android Version der Corona-Warn-App beurteilen wir als funktionsfähig und ohne grobe Mängel. Hinsichtlich Architektur und Struktur stellen wir jedoch Defizite, vor allem bezüglich des SOLID-Principles, fest. Zudem wurde zum Teil auf State of the Art und Best Practices bei der Entwicklung von Android-Apps (bspw. Dependency Injection) verzichtet, was wir nicht nachvollziehen können. Daraus resultiert, dass auch der Einbau anderer kompatibler Tracing Frameworks (z.B. Contact Shield Huawei) unnötig erschwert wird. Tests wurden implementiert, diesen fehlt es jedoch zum Teil an Tiefe und Sinnhaftigkeit. Die unzureichende Struktur der Android-App verursacht unserer Meinung nach eine unnötige Komplexität.
Das User Interface der App für iOS und Android ist übersichtlich und zeitgemäss, auch der Dark Mode wurde berücksichtigt. Beide Plattformen stellen - soweit erkennbar - Accessibility der App, u.a. dynamische Schriftgröße und VoiceOver, sicher. Bei der Analyse der App aus User Experience Sicht fällt deren starke Textlastigkeit ins Auge. Bereits das Onboarding beinhaltet sehr viel Text, der - auch durch die fehlende Feedforward-Information (Vorhersage, wie viele Views noch zu lesen sind), leicht zu Abbrüchen seitens der Nutzer führen kann. Die Gestaltung der Corona-Warn-App erfolgt als Onepager und verwendet entsprechend weder Burger Menu noch Tab Bar / Bottom Navigation Bar, was bei einigen Usern zu Schwierigkeiten in der Navigation führen könnte. Hier fehlt uns eine klare Navigationsstruktur, die vor allem bei zukünftigen Weiterentwicklungen sowie der Integration neuer Features von Bedeutung wird.
Die App überzeugt aus unserer Sicht in den Punkten Datenschutz und Funktionalität, kleine architektonische Schwächen werden den Release der ersten Version nicht stören. Vor dem Hintergrund der überschaubaren Entwicklungsdauer von 30-40 Tagen halten auch wir die von Telekom und SAP veranschlagten Gesamtkosten i.H.v. von 20 Millionen Euro für absolut überdimensioniert. Vor dem Hintergrund, dass wichtige Vorarbeiten bereits durch das DP-3T Projekt geleistet wurden und die Kernfunktionalität der Kontakterfassung über Schnittstellen von Apple und Google realisiert werden, ist die tatsächliche Eigenleistung der Softwareentwicklung sehr überschaubar.
In den nächsten Tagen und Wochen wird sich zeigen, wie viele User sich die Corona-Warn-App tatsächlich installieren und welchen Nutzen diese letztendlich haben kann.